Claudia Märzendorfer – music typewriter, score #5, 2012/17

19. – 21. März 2017
SchallForm Gallery @rhiz


Auf Einladung der Galerie SchallForm kommt es von 19. bis 21. März zur 5. Aufführung von Märzendorfers music typewriter. Im Rahmen der Finissage werden die im Schmelzprozess entstandenen Partituren music typewriter, score #5 von Bruno Liberda, Irene Kepl und Alessandro Vicard uraufgeführt und live aufgezeichnet.

rhiz – sonic bar modern, seit seiner Gründung 1998 ein profilierter Underground-Ort für das aktuelle Geschehen in Neuer Musik aller Spielarten, bietet für score #5 den entsprechenden Rahmen.

SchallForm ist eine sich an wechselnden Orten manifestierende Galerie für zeitgenössische Klangkunst/Sound Art österreichischer und internationaler Künstler_innen, die sich mit dem Material Schall und dessen Möglichkeiten in bildnerischer, performativer, konzeptueller, diskursiver oder sonstiger künstlerischer Weise auseinandersetzen.

Die leitenden Fragen des Galerieprogramms lauten:

  • Braucht Kunst, die mit dem Material Schall arbeitet, einen eigenen Werkbegriff (wenn es denn einen solchen noch gibt)?
  • In welchem Verhältnis steht sie jeweils zu den Polen bildender Kunst, darstellender Kunst und Musik?
  • Welche Ausdrucksmöglichkeiten kann diese Kunst aus dem Material Schall gewinnen, die sich nicht auch in anderen Materialien finden?

Programm

Die Vervielfältigung der Vervielfältigungsmaschine

1909 entwirft Schönberg „meine Notenschreibmaschine“, das Patent reift zwar bis hin zur Patentschrift, wird aber aus formalen Gründen am Patentamt abgelehnt und nie gebaut. Die bildende Küntslerin Claudia Märzendorfer formt diese Notenschreibmaschine in einem Modell aus mit Tinte gefärbtem Eis nach. Dieses zergeht auf den Seiten des Stapels aus Notenpapier der als Sockel diente und hinterlässt dort als Spur „Partituren“ mit „aleatorischen“ Kompositionen. Diese werden später zu graphischer Notation und als Schallereignis interpretiert werden.

music typewriter

Foto: Lisa Mathis, CM

Claudia Märzendorfer: „Das Modell der Notenschreibmaschine, in Tinteneis gefroren, ist nicht für eine Verwendung bestimmt, im Unterschied zu meinen Eis-Schallplatten, die tatsächlich abgespielt werden. Sie bringt durch ihre Materialität verstärkt die Ungreifbarkeit der Problematiken der Zeit ihrer Erfindung und der Zeit an sich zum Ausdruck. Das Thema der Vervielfältigung und Archivierung, der Erfindergeist Schönbergs, der in den verschiedensten Werkformen zu Tage tritt, sowie die Entwicklung der „Datenspeicherung“ an sich berühren hier viele Aspekte meiner bisherigen Arbeiten.

Wie in meinen Archivarbeiten mit Büchern und Schallplatten versuche ich hier, diese Gegenstände in einem zeitlichen Aspekt zu inszenieren und diesem durch seine „andere“ Materialität entsprechend eine Bedeutung zu geben. Schönberg schien den Plan einer Notenschreibmaschine eher als weiteres Experiment betrachtet zu haben und eventuelle Möglichkeit zur Finanzierung seiner künstlerischen Arbeit und ich denke diesen Aspekt hier deutlicher in einem ungreifbaren Objekt darstellen zu können als in einer dreidimensionalen Version seiner Blaupause zur Patentschrift der Notenschreibmaschine. Letztendlich geht es bei dieser Arbeit um künstlerische Ordnungen, die aus der Not der Mittel entstehen.“

music typewriter, score #5

Im April 1909 reichte Arnold Schönberg den Entwurf für eine Musikschreibmaschine am österreichischen Patentamt ein. Für die Anmeldung fehlte ihm jedoch das nötige Kleingeld. Dies und ein Formfehler stellten für den Künstler, der sich zu jener Zeit in keiner einfachen Situation befand, eine unüberwindbare Hürde dar. Und so blieb die Erfindung Schönbergs, der mit seiner Zwölftonmusik später weltweite Berühmtheit erlangen sollte, bloß skizzierte Theorie.

Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Überlegungen angestellt und Versuche unternommen, um eine Schreibmaschine zu gestalten, die Noten schreiben könne. Sogenannte Notenschreibmaschinen wären nicht nur beim Komponieren nützlich; sie würden auch bei der Anfertigung von Notenabschriften oder zu Reproduktionszwecken enorme Vorteile mit sich bringen. Das Problem der maschinellen Reproduktion von Notenschriften blieb allerdings bis in die 1960er- und 1970er-Jahre ungelöst, bis schließlich moderne Kopiergeräte die (massenweise) Vervielfältigung von Noten ermöglichten und für jedermann erschwinglich machten.

Rund 100 Jahre nach Schönbergs Versuch, seine Erfindung patentieren zu lassen, hob Claudia Märzendorfer die Patentschrift samt Entwurfsskizze im Schönberg-Archiv in Wien aus. Inspiriert von seiner Idee und dem Wunsch, der Schönbergschen Maschine nach langer Zeit in Vergessenheit endlich Form zu verleihen, entwarf die Künstlerin den Angaben der Patentschrift folgend einen Prototypen, um von diesem später einen Abguss in Tinteneis, ihren music typewriter, herzustellen. Seine Premiere feierte dieser 2012 im Austrian Cultural Forum in New York, wo die schmelzende Tinteneisskulptur den darunterliegenden Stapel an Notenpapier frei improvisiert beschrieb (music typewriter, score #1).

Die seltsame Verbindung der beiden, die jeweils in einer Zeit größerer gesellschaftlicher Umbrüche und radikaler Vermarktlichung wirk(t)en und mit den damit einhergehenden Fragen der Anerkennung und Finanzierung von visionärer, oft aber als unnütz abgetaner künstlerischer Arbeit konfrontiert waren, wird in Der Gedanke kann warten, er hat keine Zeit, einem Radiofeature der Ö1-Hörbildredaktion aus dem Jahr 2013 erzählt.

Wie all ihre Eisarbeiten übt die ‚gedehnte Flüchtigkeit’ der sich wie in einem langsamen ruhigen Film stetig verändernden Skulptur – die zunächst an der Oberfläche kondensiert und weiß anläuft, dann glänzend schwarz und zunehmend amorph wird – eine große Faszination aus. Eine gewisse Widerständigkeit gegen die allgemeine Maxime der Beschleunigung kommt hier ebenso zum Tragen wie eine kritische Auseinandersetzung mit hochaktuellen Fragen zu Vervielfältigung, Autorschaft und Urheberrecht sowie Archivierung und Speichermedien. Diese Themen spielen seit längerer Zeit und in vielen Arbeiten der Künstlerin eine Rolle, beispielsweise das leere Archiv (2015-16), ihren Frozen Records / Frozen Archive (seit 2005) oder einer Reihe von Installationen mit selbstgebundenen Büchern und Buchregalen, die sich mit der Bibliothek als Wissensspeicher auseinandersetzen: white noise (2008) oder Code (2005/07) etwa.

Text: Rsbrry Club